Falsche Erwartungen und Simulationen von Antworten auf nicht gestellte Fragen
Vielleicht hatte ich zu viel erwartet. Eine Messe ist eine Messe ist eine Messe. Warum sollte sich auch gerade 2023 etwas ändern? Aber der Reihe nach.
Die App
Ich wollte gut vorbereitet nach Berlin fahren. Ich dachte, ich schaue mir das Programm an und suche nach interessanten Vorträgen und Menschen, so dass ich die drei geplanten Tage sinnvoll nutzen kann. Aber dann nutzte ich die Webseite mit meinem Tablet und wählte „Entdecken Sie das Programm“. Nach einer Viertelstunde hatte ich verstanden, dass die fünf angebotenen Veranstaltungen scrollbar waren. Ich bin 58, das kann also mein Problem sein (sollte es aber vielleicht nicht). Ich scrollte also durch die Titel, die zum Teil abgeschnitten wurden, keine Teaser oder Urheber enthielten und keine Rauminformationen. Sie gaben mir mehr Rätsel auf, als dass sie Informationen lieferten. Ich scrollte und klickte die ein oder andere interessant erscheinende Überschrift an und plötzlich endete die Liste – irgendwann mit Veranstaltungen am Mittag. Ich schrieb eine leicht genervte Mail und bekam die Antwort, dass mir die App bestimmt weiterhelfen könnte. Also lud ich die App herunter. Dieses Mal mit dem Handy. Ich wollte zwar lieber eine übersichtliche Liste haben als gesammelte Schnipsel im Handy, aber wer bin ich schon, dass meine Interessen hier eine Rolle spielen.
In der App klickte ich neben Programm auf „Alle“. Das war ein Fehler. Eine Liste von 600+ Veranstaltungen, jede mit dem gleichen generischen Bild versehen, so das auf meinem Handy mit gutem Willen zwei Veranstaltungen gleichzeitig zu sehen waren, mit noch kürzerem Titel, bei jedem Termin mit dem ausgeschriebenen Datum „Mittwoch, 8. November 2023“ und der Uhrzeit. Keine Info zum Urheber oder zum Ort. Dafür aber im generischen Bild eingeblendet für mich völlig unerhebliche Kategorien „Aussteller-Event“, „Panel“, „Digitale Souveränität…“ (sic) usw. Eine Liste mit 600+ Veranstaltungen, die ich alle einzeln anklicken musste, um zu erfahren, worum es geht, wer es macht und wo es stattfindet. Gratulation. Hier endete dann mein Wunsch mich vorzubereiten.
Vor Ort öffnete ich die App dann nochmal und klickte auf „Entdecken“ und danach auf „Programm“ und „nach Datum“ und dann entdeckte (!) ich eine sinnvolle Liste mit immer noch abgekürzten Titeln, diesmal aber immerhin mit Urheber und Ort und ohne platzverschwendende Bilder. Die App funktioniert zwar nur im Hochformat, sonst wäre ja vielleicht noch zu viel Platz aufgetaucht für interessante Informationen 😉
Ein Klick auf Hallenplan ermöglichte eine Karte mit den Standnummern, ein Klick auf die Nummer öffnete einen Hinweis zum Aussteller, ein Klick auf den Aussteller ab und zu weitere Informationen wie Unternehmensinfos, Kontakt, angebotene Veranstaltungen oder Job-Angebote. Viel Klicken, aber ein Handybildschirm ist klein. Für mich wäre eine zoombare Karte mit den Namen der Aussteller besser gewesen, aber wer bin ich schon.
Genug über die UX gemeckert. Aber wenn so der Start zu Smart Country funktioniert, dann bin ich auch nicht überrascht, dass sich meine Laune nach einem ersten Spaziergang über die Messe am 7.11.23 nicht gebessert hat.
Die Langeweile
Ich war zutiefst gelangweilt. Ich hatte das Gefühl, alles hätte auch vor fünf Jahren genauso aussehen können. Die Halle 27 war ganz schick mit von der Decke hängenden, die Blöcke der Stände nachbildenden Skulpturen gestaltet, die als weithin sichtbare Wegweiser dienten. Die einzelnen Stände allerdings – ja, wie soll ich es sagen, was hatte ich erwartet? – waren langweilig. Es gab vereinzelt guten Kaffee (bei Google und everyworks zum Beispiel) erschreckend oft billige Plastikkugelschreiber und Aufkleber und Stofftaschen, beim IT-Planungsrat sogar ganz schöne Tassen (wenn man das Logo weggelassen hätte), aber einen Hinweis, warum ich Kontakt aufnehmen sollte, warum ich gerade mit diesen Organisationen, Unternehmen, Menschen sprechen sollte, wenn ich sie nicht eh schon kenne?
Ich hab nur sehr wenig gefunden, was mich neugierig gemacht hat. Das kann natürlich auch an mir liegen. Vielleicht sollte ich mich für den nächsten Versuch interessieren, mit irgendwelchen Sensoren irgendwelche Daten zu messen oder das nächste Versprechen „mit uns“ aber jetzt ganz bestimmt irgendwelche „Synergien“ zu heben und „effizienter“ zu werden oder gar die Akten zu digitalisieren. Wahrscheinlich bin ich ungerecht. Wahrscheinlich braucht es dieses ganze klein-klein.
Aber bräuchte es nicht auch groß und weit und tief? Vielleicht habe ich es nur nicht gefunden. Vielleicht war es in Keynotes versteckt, die ich nicht gehört habe (hier einige Titel aus der App: „Gleichstellung in der Zollverwaltung“, “Selbständig, selbstbestimmt und sicher…“, “Keynote und Bühnengespräch der Bunde…“, “The Synergy of Digital Transformation and Sustain…“, “Keynote StS Saathoff, Bundesministerium des Inn…“, “Sofa Talk: Impulse aus dem digitalen MV – Digitalisierun…“) Die Titel habe nicht ich aus Bosheit abgeschnitten, nein, das war die App.
Eine Keynote hab ich aus Versehen zum Teil gehört: „Keynote der Staatssekretärin Daniela Kluckert, Bundesmi…“. Ich erinnere mich, dass es um “Doktor Volker Wissing“ ging. Ich habe nicht mitgezählt, aber gefühlt waren diese drei Worte die häufigsten in dem etwas gehetzten Vortrag. Er ist dran, hat großes vor und wird ganz bestimmt bald … – das war glaube ich der Rest der Rede. Plastikwörter.
Zwei Lichtblicke
… gab es auch: Eine Session am Stand der Hansestadt Lübeck. Kim Strupp, Projektmanagerin Smarte KielRegion und Sabrina Wehrend, Smart City Managerin der Hansestadt Lübeck sprachen mit Jesper Zedlitz von der Staatskanzlei des Landes Schleswig-Holstein und Renate Mitterhuber der Leiterin des Referats Smart Cities im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen über Daten. Das ist jetzt auch kein ganz neues Thema, aber besonders die praktischen Beispiele von Frau Strupp und Frau Wehrend machten klar, dass es für Kommunen Sinn macht, miteinander, mit den Bürger:innen, mit dem Land und dem Bund dafür zu sorgen, dass Daten problemorientiert erhoben werden und dann für alle leicht auffindbar verfügbar sein müssen. Eigentlich nicht überraschend und auch viel klein-klein, aber es macht halt Sinn, dass die Feuerwehr durchkommt, weil Sensoren melden, dass Autos enge Kreuzungen zuparken und abgeschleppt werden können.
Der zweite Lichtblick: Der Impuls von Thomas Rysgaard aus Dänemark mit dem bescheidenen Titel: „Dänemark als digitaler Vorreiter – wie geht es weiter?“. Sicher hat er nur alles aufgezählt was gut läuft, aber dabei hatte er einiges zu erzählen. Dänemark hat keinen Föderalismus, in dem 17 Akteure miteinander verhandeln, wer alles anders machen möchte, sondern eine zentrale Festlegung von einheitlichen Standards. Das macht vieles sehr viel einfacher. Der Staat, die Regionen und Kommunen versenden (fast) nur digitale Post. Es gibt vier digitale Service-Portale: Für Bürger:innen, Unternehmen, Gesundheitsangelegenheiten und Steuer. Wenn ich es richtig verstanden habe mit der gleichen ID für Bürger:innen nutzbar. Die Bürger:innen erklären eine sehr hohe Zufriedenheit mit diesen Leistungen – die genaue Zahl hab ich vergessen, sie lag über 80%. Das ist alles nicht eins-zu-eins auf Deutschland übertragbar. Föderalismus und andere Datenschutzabwägungen fordern andere Lösungen. Aber Lösungen wären mal ganz schön.
Die Simulation
Vielleicht habe ich einfach eine falsche Erwartung gehabt. Irgendwie hatte ich die Hoffnung, dass gemeinsam nachgedacht würde darüber, was der Kern von guter Digitalisierung sein könnte, wie wir es schaffen, Datenschutz und Datennutzung, Gemeinwohl und Kommerz, Verlässlichkeit und Innovation, Gemeinsamkeit und Föderalismus zusammen- und voranzubringen. Aber es gab viele „Lösungen“ von „Herausforderungen“ und „Modelle“ zur „Bearbeitung“ von „Problemen“. Eine Art von Simulation von Antworten auf nicht gestellte Fragen. Da wollte niemand etwas wissen oder gar lernen schien mir. „Niemand“ ist sicher ungerecht. Ich hab halt niemand gesehen. Nun gut, mein Problem. Falsche Erwartung halt.
Die Hoffnung
… stirbt zuletzt. Vielleicht gibt es in 2024 ja Gespräche jenseits des klein-klein mit Menschen, die darüber nachdenken, was wir wollen, wozu Digitalisierung dient und was aus dem Weg geräumt, was weggelassen werden kann. Vielleicht gibt es Gespräche, in denen Menschen jenseits des Verkaufens und Optimierens einander zuhören wollen. Wir gestalten schließlich das Leben. Auch das könnte doch sein auf einer Messe.