Die Daten-Vorrats-Verwertungs-Werbe-Lobby ohne historische Phantasie / Kommentar

Foto von einer Gracht in Amsterdam mit dem Hinterrad eines Fahrrades im Vordergrund

In einem sehr guten kurzen Editorial hat Holger Bleich in der letzten c’t das Thema auf den Punkt gebracht: Die Erhebung und Speicherung von personenbezogenen Daten hat schon einmal und kann jederzeit wieder sehr viel Unheil anrichten.

Bleich erwähnt kurz und bündig das damals fortschrittliche Bevolkingsregister der Stadt Amsterdam, einer frühen Smart City. Alles mögliche wurde von den Menschen erfasst – für eine effiziente Stadtpolitik. Und dann kamen die Deutschen und konnten die Ermordung der Amsterdamer Juden dank dieser wunderbaren Liste sehr effizient erledigen.

Vor diesem Hintergrund und mit einem Blick auf politische Entwicklungen in allen möglichen Teilen der Erde von Freital über Kobane oder Palmyra bis Peking bin ich tatsächlich sehr irritiert über Forderungen, Datenschutz zu reduzieren.

Der neue Bitkom-Präsident Thorsten Dirks formulierte laut einem Artikel auf heise online, dass Datensparsamkeit überholt sei. Es schade der Wirtschaft und Innovation. Datenschutz müsse abgewogen werden mit dem gesellschaftlichen Nutzen, den die Datenwirtschaft erwirken kann, sekundiert sein Geschäftsführer Bernhard Rohleder.

Mit Verlaub – alles was mir bisher im Rahmen von Big Data etc sinnvolles untergekommen ist, hätte keinerlei personenbezogene Daten benötigt.

Personenbezogene Daten brauche ich zum Beispiel, wenn ich „Verbrauchern“ Zeugs unterjubeln will, dass diese nicht kaufen würden, wenn sie bei Verstand wären. Das ist vermutlich der „gesellschaftliche Nutzen der Datenwirtschaft“.

Oder wenn ich, wie eine Vertreterin von Barcoo vor kurzem auf einer Einzelhandelskonferenz anpries, nach Zahlungsbereitschaft differenzierte Preise beim Konsumenten durchsetzen will. Die App hatte ich schon vor dem Vortrag nach einem Blick auf die eingeforderten Rechte deinstalliert. Danach hätte ich es auf jeden Fall getan.

Oder ich brauche sie, wenn ich als Staat in meiner Abwägung den Nutzen zur vermuteten Sicherheitsproduktion (wenn ich an das Gute glaube) höher bewerte als den Schaden den ich mit dem Generalverdacht gegen alle Bürger und der ständigen Beobachtung an der Demokratie anrichte.

Vielleicht gibt es auch noch andere gute Gründe für eine hemmungslose, ausufernde Sammlung von personenbezogenen Daten – außer den Vertrieb von aus sich heraus schlecht verkaufbaren Produkten und einem Überwachungswunsch.

Auf jeden Fall gibt es den eingangs erwähnten sehr guten Grund gegen hemmungslose, ausufernde Sammlung von personenbezogenen Daten und für Datensparsamkeit – unsere historische Erfahrung der Nutzbarkeit solcher Daten für die effiziente Ermordung unerwünschter Menschen.

Warum die so innovative Informations- und Kommunikationsindustrie nicht in der Lage ist, Geschäftsmodelle zu entwickeln, die ohne solche gefährlichen und immer wieder in ihrer Integrität gefährdeten Sammlungen personenbezogener Daten auskommen, ist mir ein Rätsel. Entweder ist sie doch nicht innovativ, oder sie ist faul, oder sie hat die falschen Rahmenbedingungen.

Dann wäre es wohl eine politische Frage ihr diese Rahmenbedingungen zu ermöglichen. Und dann ist der Beitrag des Bitkom-Chefs wohl der Wunsch, faul bleiben zu dürfen und nicht nachdenken zu müssen, wie Bürgerrechte und Demokratie mit Marktwirtschaft im Informationszeitalter zusammen gehen können.

Holger Bleich kündigt in seinem Editorial an, dass die c’t in den kommenden Ausgaben die Methoden der Überwachung der Nachrichtendienste sortieren und verständlich machen will, damit die Leserinnen und Leser mehr wissen und sich wehren können. Dafür schon einmal Danke. Einen Teil dieser Hinweise wird man vermutlich auch nutzen können, um sich gegen die übergriffige Datenwirtschaft zu wehren.

Vielleicht besteht ja noch die Möglichkeit, sich gegen die ohne historische Phantasie agierende Daten-Vorrats-Verwertungs-Werbe-Lobby durchzusetzen und ihr Regeln zu geben, die mit Demokratie und Bürgerrechten vereinbar sind.

 

Disclaimer

Ich stehe – außer durch ein Abonnement – in keiner wirtschaftlichen Beziehung zu der hier so positiv erwähnten Zeitschrift c’t.

 

Sollten Sie Interesse an einem Input zum Thema Smart Cities haben oder einen Workshop mit wichtigen Entscheidern in Ihrer Kommune zu dem Thema durchführen wollen, sprechen Sie mich bitte einfach an. Auch kleinere und mittlere Kommunen kommen um das Thema nicht mehr herum. Es wäre gut, wenn sie wüssten was sie tun.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert