Wie lässt sich Privatheit im Internet stärken? Workshop „Rechnende Räume“ des Forums Privatheit am 3./4 Juli 2014 in Berlin

Ein Auge blickt durch eine Brille in deren Glas verschiedene Daten eingespiegelt werden.

Daten sind ubiquitär verfügbar. Nicht nur in Datenbanken, bald auch auf der Straße im Blick durch die Brille. Was bedeutet das für das Zusammenleben in der Stadt? Gibt es die europäische Stadt ohne ein Mindestmaß an Anonymität?

Am 3./4. Juli nahm Michael Lobeck am Experten-Workshop „Rechnende Räume als verletzliche Erfahrungswelten“ teil, der in Berlin vom „Forum Privatheit“ organisiert wurde. Ca. 50 Vertreter vor allem aus der Wissenschaft folgten der Einladung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI aus Karlsruhe, das den Forschungsverbund organisiert. Die Diskussion berührte viele Aspekte, die auch für Akteure der Stadtentwicklung, die sich in das Feld der Informationstechnologie begeben (Stichwort: Smarte Städte), von Bedeutung sind.

Privatheit, Autonomie und ihre Bedeutung für die Stadtgesellschaft

Hier nur einige Themen, die in der Diskussion auftauchten und auch für Fragen der Stadtentwicklung im Zeitalter von Big Data, Sozialen Netzwerken und allgegenwärtiger Videoüberwachung eine Rolle spielen.

Beate Rössler, Philosophin von der Universität von Amsterdam, die 2001 ein vielbeachtetes Buch mit dem Titel „Der Wert des Privaten“ veröffentlichte, betonte in der Diskussion, dass Privatheit und Öffentlichkeit immer gesellschaftlich definiert werden und daher umkämpfte Begriffe seien.

Die Referenten boten ein breites Spektrum von Anregungen für die Debatte auch um Smart Cities. Gertraud Koch, Professorin für Volkskunde und Kulturanthropologie an der Universität Hamburg stellte beispielsweise unterschiedliche Raumkonstruktionen vor, um den Tagungs-Begriff der „Rechnenden Räume“ analysieren zu können. Smart Cities wurden von ihr dabei beispielsweise definiert als Instrumente zur Steuerung von Infrastrukturen.

Carsten Ochs, Post-Doc am Institut für Soziologie in Kassel erläuterte Überlegungen zu konkreten Praktiken, der Privatheit und Öffentlichkeit. Er bediente sich dabei besonders der Ansätze des Soziologen Anthony Giddens, der z.B. davon ausgeht, dass ein Großteil der täglichen Aktivitäten aus nicht bewusst gesteuerten Praktiken besteht. Mit diesen konkreten Praktiken wird die Unterscheidung von Privatheit und Öffentlichkeit jeden Tag aufs Neue geschaffen.

Auf juristische Schwierigkeiten, die sich z.B. durch autonom interagierende Systeme ergeben, wies Martin Nettesheim, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht und Völkerrecht an der Universität Tübingen hin. Wer ist im Sinne des Rechts handelndes Subjekt? Wer erhebt die Daten, wer verarbeitet sie, wer gibt sie weiter?

Privatheit und Datenschutz als zentrale Weichenstellungen für Städte von morgen

Insbesondere in der Diskussion um „smarte“ Städte findet die Diskussion um ein Recht auf Privatheit, um ein Recht „in Ruhe gelassen zu werden“, Herr über die eigenen Daten zu sein eher zu wenig statt. Für promediare > ist es wichtig, die Sichtweise kommunaler Akteure einzubringen, die im Gespräch mit Unternehmensvertretern, die konkrete Anwendungen verkaufen wollen, häufig nicht beurteilen können, welche Elemente und Funktionen auch im Bereich des Datenschutzes notwendig und möglich sind.

Kommunen, die sich heute entscheiden müssen, welchen Pfad sie in Bezug auf die Anwendung von Informationstechnik einschlage, welche EDV-Systeme sie installieren, welche App sie in Auftrag geben, ob sie auf den „Open-Data-Zug“ aufspringen und wie und mit welchem Partner sie das tun, benötigen fachkundige Unterstützung. Aus unserer Perspektive ist die entscheidende Frage immer, welche Ziele die Kommune denn erreichen will. So banal das klingt, wird allzu oft nach dem Kriterium der Verfügbarkeit und Bezahlbarkeit von Technik entschieden, ohne diese grundlegende Frage beantwortet zu haben – manchmal wurde sie nicht einmal gestellt.

In der Diskussion in Berlin wurde deutlich, dass zahlreiche Grundlagenfragen zur Sicherung von Standards im Umgang mit Privatheit noch nicht geklärt sind. Zwar bieten die beiden wegweisenden Urteile des Bundesverfassungsgerichts [Grundrecht auf „informationelle Selbstbestimmung“ und das „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ eine gute Orientierung, aber die Praxis bleibt häufig dahinter zurück.

Nicht erst die Debatte seit Edward Snowden zeigt, dass Datenschutz ein oft verletztes Gut darstellt. [vgl. z.B. die Darstellungen des Projekt Datenschutz. Selbst wenn, wie von deutschem Datenschutzrecht gefordert, eine informierte Einwilligung in die Verarbeitung personenbezogener Daten vorläge – was selten genug wirklich der Fall ist, weil sehr viele Nutzer die AGBs, denen sie „zustimmen“, nicht lesen – ist die Frage was später mit den einmal erhobenen Daten geschehen kann und geschieht vollkommen offen. Auswertungsmethoden und Rechnergeschwindigkeiten sahen vor fünf Jahren noch vollkommen anders aus als heute und für die naheliegende Zukunft wird eine weitergehende erhebliche Beschleunigung erwartet.

Der Verbund Forum Privatheit wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Das Ministerium verspricht sich von dem Forum neben ersten Antworten auf die Fragen zur Privatheit in der Informationsgesellschaft vor allem auch Hinweise auf Forschungsbedarf. Neben Peter Zoche vom Fraunhofer-Institut ISI sind im Forum vertreten:

Prof. Dr. Regina Ammicht-Quinn, Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW), Universität Tübingen

Prof. Dr. Jörn Lamla, Professur für Soziologische Theorie an der Universität Kassel.

Prof. Dr. Alexander Roßnagel, Professor für Öffentliches Recht mit dem Schwerpunkt Recht der Technik und des Umweltschutzes am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Kassel.

Prof. Dr. Sabine Trepte, Lehrstuhl für Medienpsychologie an der Universität Hohenheim.

Prof. Dr. Michael Waidner, Institutsleiter Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologien und Professur „Sicherheit in der Informationstechnik“ an der TU Darmstadt.

Dr. Jessica Heesen, Universität Tübingen, Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften

und als Assoziierte Partner:

Marit Hansen, Stellvertretende Landesbeauftragte für den Datenschutz Schleswig-Holstein

Prof. Dr. Thomas Hess, Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik und neue Medien, Ludwig-Maximilians-Universität München

 

Foto: istockphoto.com/aislan13

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